Aus ethnologischer Sicht...


Kultur

Egal ob zu Hause, am Arbeitsplatz, beim Sport, in der U-Bahn oder im Internet, überall gibt es kulturelle Regeln. Sie bestimmen darüber, was als normal gilt, als richtig, angemessen, höflich, schön oder witzig. Wir verinnerlichen diese Regeln von klein auf an. Sie beeinflussen unser Denken und Handeln, unsere Perspektive auf die Welt, auf andere und nicht zuletzt auf uns selbst. Von dem kulturellen Gewebe, in das wir mit jeder Faser verstrickt sind, merken wir dabei meistens gar nichts – jedenfalls nicht, solange ringsum alle nach demselben Muster funktionieren. Erst, wenn die von uns erlernten Regeln auf Widerstände stoßen, auf Unterschiede und ‚Fremdheit‘, erkennen wir, dass Kultur ein Faktor ist.


bias

Kulturelle Regeln statten uns mit einer Landkarte aus, sodass wir, angesichts komplexer Anforderungen, nicht über jeden Schritt des Weges nachdenken müssen, sondern einfach loslaufen können. Die Fähigkeit, unbewusste Entscheidungen anhand vordefinierter kultureller Schablonen zu treffen, ist lebensnotwendig. Allerdings kann sie unser auf schnelle Problemlösung trainiertes Gehirn auch dazu verleiten, anderslautende Perspektiven auszublenden, Situationen falsch zu bewerten und Menschen in Schubladen zu stecken. Das passiert nicht, weil wir es so wollen. Im Zusammenspiel zwischen biologischer Konstitution und kultureller Ordnung ist unser Bias ein Kollateralschaden – mit schwerwiegenden Folgen. Er schürt Konflikte, färbt Debatten, zementiert soziale Ungleichheit.


Ethnologie

Als Mutterdisziplin des Kulturbegriffs befasst sich die Ethnologie mit den verschiedenen Logiken des Menschseins. Sie versucht, kulturelle Regelsysteme aus sich selbst heraus zu verstehen, ohne sich von Vorurteilen irreführen zu lassen. Traditionell konzentrieren sich Ansätze der interkulturellen Bildung auf die Analyse ‚fremder‘ kultureller Sichtweisen. Durch Perspektivwechsel sollen Konflikte gelöst oder verhindert werden. Zu Konflikten gehören jedoch immer zwei Seiten. Empathie ist wichtig, muss aber Introspektion, also die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen kulturellen Bias, miteinschließen. Ein ehrlicher Blick auf die eigenen Haltungen, das eigene Denken, Handeln und Fühlen ist der Grundstein jeder (interkulturellen) Konfliktkompetenz.